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Südlich der Millionenstadt Krasnojarsk liegt der Stolby Nationalpark, der für seine Felsnadeln, die sogenannten Stolbys, bekannt ist. Um uns wieder einmal sportlich zu betätigen, wollen wir hier wandern gehen.

Wir finden trotz der Größe der Stadt gut durch. Der Verkehr ist halb so wild, oder gewöhnen wir uns schon daran? Plötzlich winkt uns ein Polizist zur Seite. Shit, denke ich noch, aber ich hab nichts falsch gemacht. Das Licht ist eingeschaltet und langsamer als die erlaubten 60 km/h war ich auch. Ich fahre rechts ran und warte, bis der Polizist kommt. Er grüßt freundlich, salutiert und fragt nach den Dokumenten. Ich frage retour, ob er den Reisepass oder den Führerschein meint, er meint den Führerschein. Nach einem kurzen Blick darauf, bekomme ich ihn wieder und er verabschiedet sich freundlich. Das war’s. Puhhh, nach den korrupten Polizisten in Kirgistan und Kasachstan, macht einen so eine Kontrolle schon etwas nervös.

Wir überqueren den beeindruckenden Fluss Eniseij und suchen uns am Südufer eine in der Karte verzeichnete Wasserquelle. Wir müssen ein wenig suchen, aber schließlich finden wir das Rohr mit dem kühlen und – hoffentlich – sauberen Nass. Ein paar Bauarbeiter, die hier die Straße sanieren, sprechen uns an. Es sind Armenier, einer hat ein Kreuz am Hals tätowiert und zeigt es mir stolz als Zeichen dafür, dass er kein Russe ist. Tja, egal wohin man kommt, bestimmte Jobs werden immer von Gastarbeitern gemacht. Für den Straßenbau die Armenier, und für die Reinigung Asiatinnen (das haben wir in einem Café in Nowosibirsk festgestellt).

Von hier ist es nicht mehr weit zum Stolby-Nationalpark, ein beliebtes Naherholungsgebiet der Einwohner von Krasnojarsks. Da heute Samstag ist, tut sich auch entsprechend viel. Die Russen sind offensichtlich gerne in der Natur unterwegs. Im Gegensatz zu Türken und Iranern sitzen sie nicht nur herum und machen Picknick, sondern betätigen sich aktiv. Wir tun es ihnen gleich und wandern auf einer breiten Forststraße, die anfangs sogar asphaltiert ist, den Berg hinauf.

Waffen sind am Berg nicht erlaubt - wie beruhigend ... Hier sind wir, mitten in Russland

Neben vielen Familien mit kleinen Kindern wandern überraschend viele junge Leute. Viele nehmen es sehr sportlich und ziehen mit schnellen Schritten an uns vorbei. Nur bei den Vogelhäuschen, die entlang des Weges aufgestellt sind, versammeln sich alle, wenn ein Erdhörnchen oder ein Eichhörnchen die Kerne sammelt, die von den Wanderern dort ausgelegt werden. Die Tiere sind sehr zahm und fressen fast aus der Hand.

Futterplatz für Erdhörnchen und Eichhörnchen

Ungewöhnlich ist das Outfit, das die Russen zum Wandern anziehen. Viele folgen offenbar dem Motto „zeig her was du hast“. Sie tragen abgeschnittene Jeans oder andere kurze Hosen, die kaum den Hintern bedecken, oder hautenge Gymnastikhosen, dazu bauchfreie Oberteile oder gleich nur einen Sport-BH. Die Männer laufen ganz gerne mit nacktem Oberkörper herum und präsentieren ihre rasierte Brust oder den stattlichen Bierbauch. Andere scheinen sich eher fürs Shopping aufgebrezelt zu haben. Eine Frau, die wir ganz oben zwischen den Felsen sitzend sehen, hat sich mit ihrer Garderobe gründlich vertan. Sie trägt ein kurzes Sommerkleid mit tiefem Ausschnitt, der den Blick auf einen Spitzen-BH freigibt. Ihre Plateau-Schuhe hat sie unterhalb der Felsen ausgezogen und klettert nun barfuß weiter. Aufgeklebte Fingernägel und geschminktes Gesicht sind bei vielen der Damen auch am Berg selbstverständlich und seien hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt.

Am Ende der Forststraße ist ein Rastplatz mit einem Kinder-Klettergarten und einem kleinen Souvenirshop eingerichtet. Von dort geht es über unzählige Stufen hinauf zu den Stolbys. Zuerst erreichen wir den „First Pillar“, der gerade von Kletterern erobert wird. Daneben steht der kleine „Elefant“, der vor allem als Hintergrund für Selfies herhalten muss. Wir wandern noch weiter bis zum „Second Pillar“, wo wir auf einem Felsen unsere Jause auspacken. Die Sonne scheint, es ist angenehm warm und wir sehen viele glückliche Gesichter. Auch wir sind froh, wieder einmal draußen zu sein. Die Bewegung und die Natur um uns herum tun uns gut.

Kletterfelsen Rastplatz Ein Stolby

Nach einer ausgiebigen Rast machen wir uns auf den Rückweg. Nach etwas mehr als der Hälfte pausieren wir noch an einem Rastplatz, auf dem eine kleine Kapelle und ein Kiosk stehen. Wir trinken unseren Tee aus, dann geht es ins Tal.

Über hunderte Stufen geht es nach unten

Beim Auto packen wir die Sessel aus und rasten einmal ein wenig. Die Russen sind da weniger gemütlich. Sie kommen zum Auto, steigen ein und fahren los. Da gibt es kein Schuhe-wechseln, kein Rucksack-verstauen, kein Plaudern. Uns soll es recht sein, dann sind wir hoffentlich bald alleine auf dem Parkplatz und können ungestört duschen und Haare waschen. Leider nutzen die Russen den Tag bis zum letzten Sonnenstrahl aus. Wir können daher nicht warten, bis alle weg sind. Das Haare waschen erledigen wir einfach am Tisch mit ein wenig warmem Wasser. Für das Duschen stellen wir unser Duschzelt auf. Als die Sonne untergeht, fühlen wir uns wieder frisch.

Das Kochen lassen wir heute ausfallen, weil die Jause am Berg reichlich war. Wir trinken einen afrikanischen Chai und essen dazu Butterbrote. Das dunkle Brot, das wir heute gekauft haben, schmeckt mit Butter sehr gut. Wir sind froh darüber, denn das ewige Weißbrot in verschiedenen Ausführungen, hängt uns schon beim Hals heraus. Den Tipp für das dunkle Brot haben wir aus dem Buch, das wir gerade lesen („Für Nikita“, von Polina Daschkowa). Es ist hier fast gelsenfrei und wir genießen den Abend im Freien beim Schein der Campinglampe.

Rings um uns in den Lokalen dürften mehrere Hochzeiten gefeiert werden. Aber dieser Lärm stört uns nicht weiter. Lästiger sind die bellenden Hunde. Vermutlich besuchen die vier Streuner, die sich am Parkplatz herumtreiben, jeden Hund in der Siedlung. Uns raubt das laute Hundegebell jedenfalls den Schlaf.

In der Früh werden wir beide gleichzeitig wach, weil sich unter das Hundegebell etwas anderes mischt. Kann es wirklich sein, dass wir in Sibirien Löwengebrüll hören? Wir sind uns sicher, einen Löwen gehört zu haben. Da es in der Nähe einen Tierpark gibt, liegen wir wahrscheinlich gar nicht so falsch. Den restlichen Morgen sind unsere Gedanken in Afrika, unserem Lieblingskontinent.